Tommi Blomberg, CEO von Aidon

Smart-Grid-Technologie

Stromnetze: Mit smarter Infrastruktur ins digitale Zeitalter

1. April 2025

Deutsche Verteilnetzbetreiber (VNB) stehen unter akutem Handlungsdruck, da die unkoordinierte Einspeisung erneuerbarer Energien und neue Lasten (Wärmepumpen, Elektrofahrzeuge) die Kapazität herkömmlicher Niederspannungsnetze übersteigen. Daher sind Überwachungs- und Steuerungslösungen fürs Verteilnetz unerlässlich.

Gleichzeitig erfordern regulatorische Vorgaben wie § 14a EnWG, der die Integration steuerbarer Verbrauchseinrichtungen zur Laststeuerung vorschreibt, eine präzisere Netzsteuerung, die ohne Echtzeitdaten nur schwer zu gewährleisten ist. Das Fehlen dieser Daten erschwert die Netzstabilität und kann zu Engpässen im Verteilnetz führen. Im Gespräch erläutert Tommi Blomberg, CEO von Aidon, welche Rolle Echtzeitdaten und Virtualisierung dabei spielen und warum Partnerschaften den Schlüssel für intelligente Netze bilden.

Interview: Aidon-CEO Tommi Blomberg über neue Wege für das deutsche Stromnetz

1. Aktuelle Beobachtungen im deutschen Markt

Herr Blomberg, die Umsetzung des § 14a EnWG kommt weiterhin nur langsam voran. Welche konkreten Auswirkungen sehen Sie aktuell bei deutschen Netzbetreibern?

Tommi Blomberg: Viele VNB stehen unter akutem Handlungsdruck, weil ihnen essenzielle Echtzeitdaten für die Netzsteuerung fehlen. Es ist erfreulich, dass das Thema in Fachkreisen intensiv diskutiert wird und wir bei der E-World 2025 viele gute Gespräche führen konnten. Das Bewusstsein für die Notwendigkeit präziser und aktueller Messwerte steigt spürbar. Die meisten Verteilnetzbetreiber wissen inzwischen, dass Echtzeitdaten essenziell sind, um flexibel auf Lastspitzen und Schwankungen reagieren zu können und die Netzstabilität zu sichern. Wir bei Aidon bringen hier unsere Erfahrungen aus Märkten mit weiter fortgeschrittener Digitalisierung – etwa den skandinavischen – ein und können mit erprobten Lösungen unterstützen.

2. Fokussierung auf Ortsnetzstationen

Sie bringen in diesem Zusammenhang immer wieder Ihre Lösung für Ortsnetzstationen ins Spiel. Warum ist dieser Ansatz aus Ihrer Sicht ein schnell umsetzbarer Hebel?

Tommi Blomberg: Viele Verteilnetzbetreiber können nicht auf einen flächendeckenden Smart-Meter-Rollout warten, um die Ziele der Energiewende zu erfüllen. Die Digitalisierung von Ortsnetzstationen ermöglicht eine schnelle, kostengünstige Aufrüstung, die Echtzeitdaten zum Netzzustand liefert. Die Digitalisierung von Ortsnetzstationen ermöglicht eine präzise Netzsteuerung und frühzeitige Engpasserkennung. Echtzeitdaten erhöhen die Versorgungssicherheit. Gesetzliche Vorgaben werden erfüllt, die bestehende Infrastruktur genutzt und eine nahtlose Integration in die IT-Landschaft gewährleistet. Fehler lassen sich schneller erkennen und beheben. Die Lastverteilung wird optimiert und dezentrale Energiequellen besser integriert. Das Netz wird stabiler und effizienter. Projekte wie in Haßfurt zeigen bereits, wie effizient das funktioniert.

3. Status-quo des deutschen Netzes

Wie würden Sie aus skandinavischer Sicht das deutsche Stromnetz beschreiben? Wo sehen Sie die größten Baustellen und Potenziale?

Tommi Blomberg: Aus unserer skandinavischen Perspektive hat das deutsche Netz eine solide Basis, steht aber im Kontext ehrgeiziger Klimaziele und dem Atomausstieg vor großen Aufgaben. Leider verlangsamen in Deutschland regulatorische Unsicherheiten und zögerliche Investitionen die landesweite Einführung intelligenter Mess- und Steuerungssysteme. Die Modernisierung der Ortsnetzstationen ist da ein schneller Zwischenschritt: Sie liefern dann Echtzeitdaten, was nicht zuletzt im Hinblick auf §14a EnWG zentral ist. Diese Echtzeitdaten liefern nicht nur Informationen über Lastspitzen, sondern ermöglichen auch eine schnellere Fehlererkennung und -behebung, eine optimierte Lastverteilung und eine einfachere Integration dezentraler Energiequellen – ein klarer Quick Win.

4. Skandinavische Erfahrungen für Deutschland nutzen

Was können deutsche Netzbetreiber aus dem skandinavischen Markt lernen, wo die Digitalisierung deutlich weiter fortgeschritten ist?

Tommi Blomberg: In Skandinavien wurde frühzeitig und systematisch in kosteneffiziente, skalierbare  Smart-Grid-Technologien investiert. Davon profitiert heute das gesamte Energiesystem durch flexible Netzsteuerung und hohe Versorgungssicherheit. Deutschland steht durch die Energiewende und den Atomausstieg vor besonderen Herausforderungen, kann jedoch durch den gezielten Einsatz von Retrofit-Technologien schnell aufholen.

5. Technik, Aufrüstbarkeit und Lebensdauer

Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Lösungen auch mit älteren Komponenten im Netz arbeiten können?

Tommi Blomberg: Unsere Retrofit-Lösungen funktionieren auch mit älteren Ortsnetzstationen und liefern zuverlässige Echtzeitdaten. Umfassende Neubauten sind damit nicht nötig. Wir integrieren die gewonnenen Daten nahtlos in bestehende IT-Systeme und digitale Zwillinge, sodass keine zusätzlichen komplexen Softwaresysteme erforderlich sind. Dies reduziert die Komplexität für VNB erheblich und ermöglicht schnelle operative Vorteile.

6. Datensicherheit und Cloud-Lösungen

Ein großes Thema in Deutschland ist Datensicherheit. Wie adressieren Sie diese Aspekte, insbesondere bei Cloud-Anwendungen?

Tommi Blomberg: Wir bieten mehrschichtige Sicherheit auf Basis internationaler Standards (ISO 27001), einschließlich fortschrittlicher Verschlüsselung, Datenhaltung auf deutschen Servern und Backup-Konzepte. Wir bieten flexible Bereitstellungsmodelle – On-Premise, Hybrid oder Public Cloud – wobei VNB stets die volle Kontrolle über ihre Daten behalten. Dies adressiert die besonders hohen Sicherheits- und Datenschutzanforderungen in Deutschland effektiv.

7. Partnerschaften und Zusammenarbeit

Die Energielandschaft ist fragmentiert: Stadtwerke, regionale Versorger, große Stromkonzerne. Wie wichtig sind Kooperationen, um Gesamtlösungen zu schaffen?

Tommi Blomberg: Sehr wichtig. Die Energiewende ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Wir setzen auf ein offenes Ökosystem und arbeiten eng mit Partnern zusammen. Ein gutes Beispiel ist unsere Partnerschaft mit Eltel auf der E-World, wo wir gemeinsam unsere Lösungen präsentiert haben. Wir integrieren auch Messgeräte und Sensoren von Drittanbietern in unsere Plattform, um den Netzbetreibern eine möglichst umfassende Lösung zu bieten. Aidon will sich als starker Enabler positionieren, liefert Hardware plus Plattform und arbeitet eng mit Kunden und Partnern. Vorteil für die VNB: Sie erhalten End-to-End-Lösungen und müssen sich nicht separat mit fünf oder mehr Lieferanten austauschen.

8. Ausblick: Nächste fünf Jahre

Wenn Sie fünf Jahre in die Zukunft schauen: Welche Vision haben Sie für das deutsche Stromnetz – und welche Rolle spielt Aidon?

Tommi Blomberg: Wir prognostizieren, dass vorausschauende Wartung künftig unabdingbar wird, um Engpässe im Verteilnetz zu verhindern. Durch die Analyse der Messdaten können VNB Anomalien frühzeitig erkennen und so Ausfälle verhindern, bevor sie überhaupt entstehen. Auch Virtualisierung wird zunehmend ein Thema: Wir haben auf der E-World 2025 das „Quantum Edge Device“ unseres Schwesterunternehmens Gridpertise gezeigt. Es handelt sich um eine softwarebasierte Lösung, die Schutz-, Automatisierungs- und Steuerungsanforderungen in Mittelspannungs-Umspannwerken virtualisiert.

Was das große Bild betrifft, hoffe ich, dass Deutschland jetzt den Rückenwind der Klimaschutzziele nutzt. Bald sollte es überall intelligente Mess- und Steuerungssysteme geben – in Gebäuden und in allen Netzknotenpunkten wie Ortsnetz- und Mittelspannungsstationen. Dann, und nur dann, könnten VNB Schwankungen souverän ausgleichen, erneuerbare Energien leichter integrieren und ihre Infrastruktur passgenau und kosteneffizient weiterentwickeln.

9. Aidons Ziele in Deutschland

Und wie sehen Ihre Pläne für den deutschen Markt konkret aus?

Tommi Blomberg: Deutschland ist für uns ein Schlüsselmarkt. Ganz konkret bauen wir unser Team hier weiter aus und suchen qualifizierte Mitarbeiter, die die Energiewende mitgestalten wollen. Wir werden unsere Partnerschaften vertiefen und unsere Präsenz in der Branche verstärken. Unser Ziel ist es, ein verlässlicher Partner der deutschen Verteilnetzbetreiber zu sein und sie auf dem Weg zum Smart Grid mit unserer in zwei Jahrzehnten aufgebauten Expertise zu begleiten.


Weitere Informationen

  • Aidon ist seit 2004 auf Smart Grids und intelligente Messlösungen spezialisiert und zählt zu den Pionieren in den nordischen Ländern.
  • Mehr über Ortsnetzstationen und Mittelspannungsnetze erfahren Sie unter www.aidon.com oder im direkten Gespräch.