Wie kann das deutsche Stromnetz schneller und kostengünstiger intelligent werden? Da der aktuelle Status des Rollouts von Smart Metern eher schleppend verläuft, nimmt der finnische Anbieter Aidon die Ortsnetzstationen ins Visier. Diese lassen sich mit der Lösung von Aidon auf der Basis der existierenden Technik schnell zu Lieferanten von Echtzeitdaten über den Netzzustand im Verteilnetz aufrüsten. Wir sprachen mit CEO Tommi Blomberg über das deutsche Smart Grid.
Herr Blomberg, lassen Sie uns mit einer etwas ketzerischen Frage beginnen: Warum braucht die Menschheit intelligente Stromnetze?
Blomberg (lacht): Die Menschheit braucht Smart Grids, weil die Menschheit eine Lösung benötigt, um dem Klimawandel zu begegnen. Wir brauchen diese Lösung, weil wir das Energiesystem intelligent umbauen müssen, um Themen wie die Elektromobilität oder die Wärmeerzeugung vollständig integrieren zu können. Das Smart Grid ist der Enabler für den Umbau auf Erneuerbare Energien. Nur mit mehr Intelligenz können die Netze flexibler und robuster werden und Erzeugung und Verbrauch optimal aufeinander abstimmen. Erzeugte Energie muss zu den richtigen Stellen transportiert werden. Nur mit intelligenten Systemen wie Smart Metern können wir dann andererseits den Verbrauch sinnvoll steuern, indem wir die Energienachfrage an die richtigen Erzeugungspunkte adressieren.
Strommarkt in Finnland: Sehr volatile Preise
Sie haben darauf hingewiesen, dass die volatile Erneuerbare Erzeugung eine Flexibilität der Transport- und Verteilnetze erfordert. Dies ist insbesondere in Deutschland mit den weiter wachsenden Anteilen von Solar- und Windstrom der Fall. Wie ist die Situation in Skandinavien?
Blomberg: Ja, die Situation in Deutschland ist angesichts des Umstands, dass man hier auf die Kernkraft verzichtet, schon eine besondere Herausforderung. In Skandinavien ist das Verhältnis von volatiler erneuerbarer Erzeugung und kontrollierbarer Erzeugung in der Grundlast ein ganz anderes. Denn hier haben wir einen hohen Anteil an Erzeugung aus Kernkraft und Wasserkraft. Dazu gesellt sich ein wachsender Anteil an Windkraftanlagen. Für die Verbraucher stellt sich das in Finnland so dar, dass diese sich mit erheblichen Fluktuationen bei den Strompreisen konfrontiert sehen. Inzwischen sind viele Konsumenten nach den erheblichen Preissteigerungen im Zusammenhang mit der Ukrainekrise auf stündliche Tarifmodelle umgestiegen. An windreichen Tagen kann es sein, dass der Strom fast gratis geliefert wird. Im Gegensatz dazu, wenn es -20 Grad und kaum Wind hat, dann kann die Kilowattstunde schon mal 1 Euro kosten. Die Preise fluktuieren stark und das hat auch zu umfangreichen politischen Debatten geführt. Denn niedrige und stabile Preise erfordern unweigerlich eine staatliche Subvention, während die Kopplung an die Spotmärkte eben diese starken Schwankungen verursacht. In Ausnahmesituationen hat das schon mal zu einem Preis von 2 Euro pro Kilowattstunde geführt. Daraus hat sich allerdings eine hitzige Debatte entwickelt und es stellte sich heraus, dass das auf einen Fehler im System zurückzuführen war. Ansonsten liegt der Höchstpreis bei etwa 50 Eurocent. Die Verteilnetzbetreiber stehen allerdings auch in Skandinavien vor der Herausforderung, die Netzstabilität zu garantieren. Dafür haben wir eben unsere Lösung für intelligente Ortsnetzstationen entwickelt.
Die Erzeugung von Strom in Skandinavien ist, wie Sie gesagt haben, durch zentrale Kern- bzw. Wasserkraftanlagen geprägt, während in Deutschland die Erzeugung die Tendenz hat, immer weiter zu dezentralisieren. Was bedeutet das für das Stromnetz?
Blomberg: Der Unterschied ist gar nicht so groß. Auch hier haben wir viele unterschiedliche Verteilnetzbetreiber, in Finnland sind es etwa 80 und in ganz Skandinavien etwa 400, während es in Deutschland über 800 sind. Allerdings haben wir im Norden eben die Situation, dass es Verteilnetzbetreiber gibt, in deren Gebiet es so gut wie gar keine lokale Erzeugung stattfindet. Aber die Tendenz zur Dezentralisierung stellen wir auch hier fest. Jeder will das. In Finnland zählen wir aktuell 1.600 Windkraftanlagen und weitere werden überall im Land errichtet. Hinzu kommt, dass einen starken Energieaustausch zwischen den Ländern gibt, zum Beispiel zwischen Finnland und Schweden.
Seit 2004 im Smart Grid unterwegs
Mit Ihrer Lösung versetzen Sie die Verteilnetzbetreiber in die Lage, Daten über den Netzzustand zu erheben. Können Sie uns erklären, worin der besondere Vorteil bei Ihrer Lösung liegt?
Blomberg: Wir beschäftigen uns seit 2004 damit, das Netz intelligenter zu machen. Dadurch haben wir sehr viele Erfahrungen gesammelt und vertiefte Kompetenzen beim Aufbau und Betrieb von Smart Grids erworben. Wir sind mit Smart Meter gestartet und stellen diese Geräte jetzt seit 20 Jahren her. Dann haben wir zunächst für den Markt in Norwegen eine Lösung entwickelt, um die Ortsnetzstationen, diese Transformatoren für den Anschluss des Niederspannungsnetzes an das Mittelspannungsnetz, aufzurüsten. Die dortigen Verteilnetzbetreiber wollten mehr darüber wissen, wieviel Strom durch diese Stationen konkret fließt und wie sich die Situation auf der Nachfrageseite bei den Endkonsumenten darstellt. Die zentrale Frage war, wie groß die Verluste in diesen Stationen sind. Meistens war das alles im Rahmen, aber es gab eben Fälle, da waren die Verbindungen falsch geschaltet. Das konnte dann optimiert werden.
Das war der Ausgangspunkt und das hat sich dann in Richtung Stromqualität weiter entwickelt. Denn wenn man sich diese Transformatorstationen anschaut, dann werden die in den Spitzenzeiten schon gestresst, also wenn der Verbrauch hoch ist. Oder man verzeichnet eine erhöhte Erzeugung, dann steht das Übertragungsnetz unter Stress. Diese Szenarien kann man mit unserer Lösung sehr genau erfassen. Wir liefern detaillierte Daten nicht nur über den Verbrauch, sondern auch über die Stromqualität.
Echtzeitdaten aus den Ortsnetzstationen
Wenn man das deutsche Stromnetz betrachtet, steht das vor besonderen Herausforderungen. Hier ist insbesondere an den Ausgleich zwischen Nord- und Süddeutschland zu denken. Wie speziell ist Ihrer Ansicht nach die Situation in Deutschland aus der skandinavischen Perspektive? Bietet Ihr Angebot dafür eine geeignete Lösung?
Blomberg: Ich glaube ja. Mit unserer Lösung kann man sehr genaue und in Echtzeit ausgespielte Informationen über den Status des Netzwerks und in den Verteilpunkten erhalten. Das erlaubt es, die Kapazitäten in den Ortsnetzstationen besser auf die Erzeugung, den Verbrauch und den Netzzustand abzustimmen. Ein Anwendungsfall besteht beispielsweise auch darin, den Zustrom der ganzen dezentralen PV-Anlagen besser zu steuern. Aktuell ist es kaum möglich, in Spitzenzeiten diese Anlagen komplett in die Ortsnetzstationen einspeisen zu lassen. Die Verteilnetzbetreiber wissen eben teilweise gar nicht, was da genau in dem Moment passiert. Mit unserer Lösung ermöglichen wir das, indem wir sie in die Lage versetzen, sich sehr granular und in Echtzeit über die aktuelle Situation zu informieren.
Die Verteilnetzbetreiber stehen vor der Herausforderung sich gemäß des nun vorliegenden § 14 a EnWG verstärkt um die netzorientierte Steuerung des Stromnetzes zu bemühen. Dafür werden Daten über den Netzzustand benötigt. Diese können entweder direkt über Smart Meter an den Endverbrauchspunkten erfasst werden oder aber in den Ortsnetzstationen, wie Sie es vorschlagen. Nun ist der Rollout von Smart Metern nicht wirklich vorangekommen. Wie beurteilen Sie diese Situation?
Blomberg: Gute Frage, die man meines Erachtens unter zwei Aspekten betrachten muss. Es geht einerseits um die Erfassung des Netzzustands und andererseits geht es um die Kontrolle des Verbrauchs, also um die gegebenenfalls notwendige, punktgenaue Abregelung der Stromnachfrage, um das Netz zu stabilisieren. Das ist im Kern die Aufgabe, die der § 14a an die Verteilnetzbetreiber stellt: Die Stromlast im Bedarfsfall sehr schnell zu reduzieren, beispielsweise über die Smart Meter den Strombedarf der Wärmepumpen zu begrenzen. Dafür muss man natürlich genau wissen, wo eigentlich die abregelbaren Verbraucher überhaupt stehen. Unsere Lösung ist auf jeden Fall dazu geeignet, den netzseitigen Status zu erfassen. Die Verteilnetzbetreiber erhalten von uns die entsprechenden Daten und wir bereiten die auf und visualisieren das. Auf dieser Basis können sie automatisierte Prozesse entwickeln, um regelnd in das Netz einzugreifen.
Die vorhandene Technik intelligent aufrüsten
Das aktuelle Stromnetz ist über Jahrzehnte gewachsen und auch einzelne Ortsnetzstationen mögen hardwareseitig in die Jahre gekommen sein. Ist es mit Ihrer Lösung möglich, alte Technologie so aufzurüsten, dass auch diese Ortsnetzstationen intelligent werden?
Blomberg: Tatsächlich haben wir darauf sehr viel Wert gelegt: Mit unserer Lösung kann man auch alte Hardware aufrüsten. Alle vorhandenen Installationen können so wie vorhanden weiter genutzt werden. Es lassen sich sogar bereits verbaute Geräte zur Datenerfassung integrieren. Das betrifft zum Beispiel Sensoren von Drittanbietern, die den rein physikalischen Zustand der Station an sich erfassen – etwa Überhitzung. Deren Daten lesen wir dann auch aus und übertragen diese zu den Verteilnetzbetreiber. Wir bringen eben das alte System in das nächste Jahrhundert, ohne das dieses an sich umgebaut werden muss. Das ist natürlich wichtig, denn aktuell verfügen 99 % der Ortsnetzstationen über keinerlei intelligente Funktionen.
Wenn Sie mit deutschen Verteilnetzbetreiber sprechen, welche Herausforderungen kommen da zur Sprache? Was sind die Schmerzpunkte bei diesen Unternehmen in Bezug auf deren Netzinfrastruktur?
Blomberg: Aktuell betreiben wir zwei Pilotprojekte mit deutschen Verteilnetzbetreibern, mit denen wir in einem sehr intensiven Dialog stehen. Im Prinzip ist deren Feedback auf unser Angebot durchgehend positiv. Wir können deren Herausforderungen lösen. Es gibt Wünsche, beispielsweise die Daten noch besser aufzubereiten oder zu visualisieren, aber das ist ja kein Problem, das ist eine Frage der Software. Was sie auch nachfragen, dass sie nicht nur über Informationen zum Zustand der Stationen verfügen möchten, sondern auch über den Zustand der Abgangskabel. Das haben wir in die Lösung, die wir jetzt vorstellen integriert. Aus den Stationen gehen vier Kabel raus und die überwachen wir jetzt jedes einzelne isoliert. Und das nahezu in Echtzeit – nicht mehr stündlich, sondern im Abstand von fünf Minuten oder einer.
Deutschland aktuell zu langsam beim Aufbau des intelligenten Netzes
Wenn Sie die Situation in Deutschland betrachten, die Sie hier vorfinden, und diese mit der Zielvorstellung eines intelligenten Stromnetzes abgleichen: Wo stehen wir hier? Wie lange glauben Sie wird es dauern, bis wir von einem deutschen Smart Grid sprechen können?
Blomberg: Ein Aspekt beim Aus- und Umbau des Stromnetzes ist überall auf der Welt gleich: Investitionen in die Netzinfrastruktur werden auf 50 Jahre abgeschrieben. Deswegen kann man nicht erwarten, dass alles von jetzt auf gleich umgebaut sein wird, denn die Stadtwerke werden kaum Infrastruktur aussondern, die erst 20 Jahre alt ist. Deswegen benötigen sie Lösungen wie die von uns, um vorhandene Infrastruktur weiter nutzen zu können. Damit kann der Umbau beschleunigt werden. Allerdings muss man schon feststellen, dass Deutschland in Bezug auf die Smart Meter, die Installation von Gateways extrem langsam ist, eigentlich unglaublich langsam. Diese Dinge sind aber absolut erforderlich, um Strom verbrauchende Geräte wirklich zu kontrollieren und situationsbedingt abzuregeln. Ohne das hat man zwar die Daten, aber man kann nichts unternehmen, um die Last zu reduzieren und das Netz zu stabilisieren. Von daher bin ich in Bezug auf Deutschland etwas pessimistisch, ob die zeitlichen Vorgaben eingehalten werden können. So, wie sich das aktuell darstellt, wird sich das Ziel von 2030 kaum einhalten lassen. Mit der Aufrüstung bestehender Ortsnetzstationen könnten die Netzbetreiber jedoch schnell und komfortabel vorankommen. Smarte Ortsnetzstationen liefern zuverlässig Messwerte über den Netzzustand im Niederspannungsnetz und lösen daher viele Herausforderungen, die sich aus dem § 14 a ergeben.